Föderalismus auch aus

physikalischer Sicht. Tja, wer hätte das gedacht. Aus evolutionsbiologischer Sicht war ja schon einiges in meinem letzten Blog. Diesmal wird es noch ein wenig physikalisch werden (ja: Physik). Wem dissipative Strukturen gar nichts sagen, dem empfehle ich diesen Link, vielleicht hilft er zum Verständnis, denken sie aber beim Lesen eher nicht an Föderalismus, ich werden den Zusammenhang schon zu erklären versuchen.

Zuerst muss ich aber einen geschichtlichen Ausflug unternehmen. Warum ist die Eidgenossenschaft föderalistisch organisiert. Nun, unsere Vorfahren mussten ja eine Republik auf Geheiss von Napoleon aus dem Boden stampfen. Das gab schreckliche Bauchkrämpfe für diejenigen, welche das taten, denn die grösste Angst der Beteiligten war die von einem mächtigen Staat. Diese Tatsache wird an unseren Schulen nicht wirklich gelehrt und damit geht fundamentales Allgemein-Wissen verloren. Die Lösung (keine Angst zu haben) war ein einzigartiger Föderalismus und eine vertiefte Demokratie.

Unsere Staatsgründer hatten ein paar unglaublich mutige Überzeugungen, die ihnen erst die Gestaltung unsere Verfassung so ermöglichte.

  • jeder (damals nur Männer) Bürger ist intelligent (mündig) genug richtig zu wählen und Abzustimmen.
  • Demokratie darf nicht einfach die Diktatur der Mehrheit sein
  • das letzte Wort hat der Souverän (immer) insbesondere was Verfassunsänderungen und Gesetzesänderungen betrifft (Referendumsmöglichkeiten auf allen Stufen). Das bedeutet auch: der Bürger kontrolliert den Staat und nicht umgekehrt (wenn Sie das einem Deutschen, einem Kroaten, einem HongKong-Bürger sagen: meist zuerst höflich Lächeln und Unglaube)
  • jeder Bürger kann auch als Einzelner, oder Gruppe direkt in die Verfassung/Gesetzgebung eingreifen (nennt sich Initiativrecht)
  • die Kirche darf sich nicht einmischen (bis das in allen Kantonen auch durchgesetzt wurde ging es lange und meines Wissens gibt es in Freiburg noch heute ein Verbot für kirchliche Würdenträger ihre Würde ausserhalb der Kirche zu tragen/zeigen, sozusagen das erste Burka-Verbot 😉 !)

Jedermann (und auch jede Frau) darf auf diesen Wurf stolz sein und sollte es auch. Stolz ist übrigens nicht Überheblichkeit und es wäre falsch stolz auf sich zu sein, denn weder Sie noch ich haben diesen Beitrag geleistet. Es waren einige unserer Vorfahren, die geschichtliches Bewusstsein hatten, ein interessantes Menschbild hatten und vielleicht eine Vorahnung von zukünftiger Physik. Auch Sie meine Damen, dürfen genauso Stolz sein, wie die Männer: erstens sind die meisten Männer durch die Erziehung von Müttern erwachsen geworden und zweitens haben/hatten die verantwortlichen Männer da noch Ihre Ehefrauen, quasi eingebaute Einflüsterer mit viel Einfluss. Man sagt zu recht: hinter jedem grossen Mann steht eine vielleicht noch grössere Frau (Frauen sind die besseren Influenzer – modern gesprochen), wohl wissend, dass das heute einen Shit-Storm auslösen könnte. 😉

Man hat also quasi über Nacht ein allgemeines Stimmrecht eingeführt (Wahlrechte gab es schon Erfahrungen in Nachbarländern), ein unglaublich mutiges Experiment und es hat funktioniert. Ein fundamental demokratischer Staat ist eben eine dissipative Struktur und was wir heute wissen, solch eine Struktur kann dynamisch Ordnung schaffen und sie tut es, non stop und grandios gut, genau darum ist die Schweiz so stabil und Stabilität kann per se kein Nachteil sein. Dabei profitiert unser Staatswesen von einer anderen Eigenschaft, die wissenschaftlich sehr erhärtet ist. Eine Mehrheit der Stimmbürger wird sehr häufig «richtig» entscheiden, wenn die Stimmbürger vielseitig informiert sind und selbstständig entscheiden (Entscheid in Ruhe treffen) und zwar deutlich häufiger als Experten. Wenn also in Deutschland wohl heute noch eine Mehrheit der Bürger einem allgemeinen Stimmrecht mistrauen, dann sage ich: die spinnen die Teutschen ;-). Das nennt sich übrigens salop Schwarmintelligenz. Heute kann man sagen, das Experiment konnte aus wissenschaftlicher Sicht eigentlich nur erfolgreich sein und es ist nicht nur Glück und sogenannte Rosinenpickerei, die eben die Schweiz international so erfolgreich gemacht hat! Wir haben bessere Entscheidungen getroffen, nicht weil wir besser sind, sondern das gewählte System hat diese Vorteile eingebaut.

2 Entwicklungen beunruhigen mich heute stark. Erstens (1), um es in der Worten des eher lausigen Journalismus zu sagen, immer mehr Bürger haben nicht genug Wissen um unsere Demokratie(1.1) und die Beteiligung an Abstimmungen nimmt ab(1.2). Zweitens (2) gibt es leider immer mehr Schweizer, die ein quasi zentrales Expertensystem befürworten. Zwei grobe Defizite für unser System eben auch aus wissenschaftlicher Sicht. 1.2 führt dazu, dass unser Schwarm qualitativ schlechter wird (geringere Variabilität – nicht mehr alle Bevölkerungsgruppen machen mit). Ich fordere klar bessere Ausbildung an unseren Schulen bezüglich unseres politischen Systems, auf das wir ja so stolz sein könnten. Genauso müssten Neubürger unser System genau kennen (Bedingung um das Bürgerrecht zu erhalten und man müsste auch das Gefühl bekommen, das sie diese Demokratie an sich befürworten (das ist komplett unabhängig von politischer Ausrichtung)), aber wer da gerade Bundesrat ist ist komplett egal, weil ein Teil der politischen Erziehung von Kindern eben zu hause passieren sollte. Ich war schon ein wenig schockiert, dass ein mit mir befreundeter Kroate (ist Schweizer geworden), hoch intelligent (2 Studien), keine Ahnung, aber wirklich keine, unseres politischen Staats-Systemes hatte und niemand hat sich daran gestört.

Nun noch zu was heiklem. Ich stelle fest, dass Angst-Argumente sehr oft dazu verwendet wird um politische Entscheide zu beeinflussen. Aus den Überlegungen über die Schwarmintelligenz wissen wir, dass der Bürger in Ruhe seine Meinung bilden sollte. Angst stört diese Ruhe und damit auch unser System.

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